Nachfolgend ein Beitrag vom 30.8.2018 von Ruppel, jurisPR-MedizinR 7/2018 Anm. 4

Leitsätze

1. Für die Rechtzeitigkeit der – ablehnenden – Entscheidung der Krankenkasse im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V kommt es auf den Eingang beim Versicherten, nicht auf den Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides an (vgl. BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R – entgegen LSG München, Beschl. v. 25.04.2016 – L 5 KR 121/16 B ER).
2. Von der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V werden auch Hilfsmittel – wie z.B. Hörgeräte – zum Behinderungsausgleich umfasst (entgegen BSG, Urt. v. 15.03.2018 – B 3 KR 4/16 R).
3. Der Grund hierfür findet sich in der erforderlichen engen Auslegung des Begriffs der „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ in § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V (vgl. BSG, Urt. v. 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R).
4. Zeitgleiches und räumliches Richtungshören stellen Grundbedürfnisse der Versicherten dar.

A. Problemstellung

Die leistungsrechtliche Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V wirft in ihrer Handhabung immer wieder Rechtsfragen auf, etwa zu ihrem Verhältnis zum Leistungskatalog der GKV oder zu einem später ergehenden Ablehnungsbescheid, vor allem aber hinsichtlich der Berechnung der Fristen. Die Urteilsbesprechung beschäftigt sich ausschließlich hiermit und nicht mit der vom Gericht gleichfalls aufgeworfenen Frage, ob und inwieweit auch Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich von § 13 Abs. 3a SGB V erfasst werden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der bei der beklagten Krankenversicherung versicherte Kläger beantragte mit Schreiben vom 15.12.2016 unter Vorlage einer Verordnung die Gewährung eines Hörgerätes.
Die beklagte Krankenkasse holte eine Stellungnahme – nicht des MDK – ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.01.2017 mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für die Versorgung mit dem Hörgerät nicht vorlägen. Den hiergegen erhobenen und von der Beklagten nicht abgeholfenen Widerspruch begründete der Kläger nicht mit der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V, sondern damit, dass die materiellen Voraussetzungen der Leistungsgewährung vorlägen.
Im Rahmen des Klageverfahrens wies die Kammer auf die Möglichkeit der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V durch den am 15.12.2016 gestellten Antrag hin, der spätestens am 20.12.2016 bei der Beklagten eingegangen sein müsste.
Der ablehnende Bescheid wurde am 09.01.2017 gefertigt. Der Tag, der genau drei Wochen nach dem 20.12.2016 lag, ist der 10.01.2017.
Die beklagte Krankenkasse war der Ansicht, sie könne die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V voll ausschöpfen. Es käme deshalb nicht auf den Zugang, sondern auf den Erlass des ablehnenden Bescheides an.
Dem hat sich das SG Saarbrücken nicht angeschlossen. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch ergäbe sich vollständig aus der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V. Denn der Antrag des Klägers sei spätestens am 20.12.2016 bei der Krankenkasse eingegangen. Diese habe auch nicht über die Einholung einer Stellungnahme i.S.d. § 13 Abs. 3a S. 2 SGB V informiert, weshalb die Drei-Wochen-Frist gemäß Satz 1 Var. 1 gelte.
Denn maßgeblich für den Zugang des ablehnenden Bescheides sei § 37 Abs. 2 SGB X. Nach diesem gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, es sei denn, dass der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Unter dieser Maßgabe gelte der von der Beklagten am 09.01.2017 gefertigte Ablehnungsbescheid – so er am selben Tage versandt wurde – dem Kläger erst am 12.01.2017 und mithin nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist als zugegangen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V ist „gut gemeint“, birgt aber in der praktischen Anwendung einige Risiken. Die Freistellung von formellen Voraussetzungen wie eines Genehmigungsbescheides suspendiert nicht die materiellen Anforderungen, sondern verlagert – bei allen aus Patientensicht positiven Aspekten – rechtliche Unsicherheiten auf den Antragsteller: So haben die Landesgesetzgeber viele kleinere Bauvorhaben genehmigungsfrei gestellt (etwa § 63 LBO S-H), was indessen gerade nicht bedeutet, dass ein Vorhaben Bauplanungs- und Bauordnungsrecht nicht mehr einhalten müsse. Die Bauordnungsbehörden gehen derweil nunmehr rein repressiv statt präventiv beratend und genehmigend vor. Ähnliches kann auch dem Patienten drohen, der aufgrund der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V eine Behandlung im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens beginnt: Zunächst darf er die Behandlung nicht vor Ablauf der Frist beginnen, § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V (dazu auch BSG, Urt. v. 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R, Leitsatz 3), obwohl er selbst gar nicht genau den Fristbeginn berechnen kann. Sodann besteht die nächste Unsicherheit, ob die Drei- oder die Fünf-Wochen-Frist gilt und wann diese schließlich endet. Hier hat die besprochene Entscheidung erfreulich Klarheit geschaffen.
Zwar ändert die verspätete Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse – die Patienten wie Leistungserbringer stets gleichermaßen verunsichert – nichts an der eingetretenen Genehmigungsfiktion (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R) als Bescheid kraft Gesetzes (Kingreen in: Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn. 30). Allerdings kann die Krankenkasse einen etwaig rechtswidrig ergangenen Genehmigungsbescheid aufheben (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R; zum Ausschluss von Einwendungen siehe Kingreen in: Becker/Kingreen, SGB V, § 13 Rn. 30, 31). Sehr patientenfreundlich ist die Rechtsprechung allerdings, wenn Patienten Leistungen beantragen, die nicht genau dem Leistungskatalog der GKV entsprechen, solange die Leistung subjektiv erforderlich ist und nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges steht (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R; BSG, Urt. v. 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R; vgl. auch Harich, jurisPR-SozR 2/2018 Anm. 3).
Der 1. Senat des BSG hatte mit seiner Entscheidung wie im Falle der Entscheidung vom 11.07.2017 (B 1 KR 26/16 R Rn. 29) bereits klargestellt, dass es beim Ablaufen der Drei-Wochen-Frist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller, nicht auf die behördeninterne Entscheidung über die Information ankäme.
Zu Recht hat das SG Saarbrücken für die Berechnung der Frist der Zustellung des ablehnenden Bescheides – und damit seiner Rechtzeitigkeit vor Eintritt der Genehmigungsfiktion – auf § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X abgestellt. Demnach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Bedeutung hat zudem der adressatenfreundliche Satz 3, wonach die Drei-Tages-Zustellungsfiktion nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Sowohl systematisch als auch vom Sinn und Zweck der Regelung sowie zur Rechtssicherheit kann es – anders als es etwa das LSG München, Beschl. v. 25.04.2016 – L 5 KR 121/16 B ER vertritt – nicht auf die behördeninterne Entscheidung ankommen, sondern muss der für den Bürger nach außen sichtbare (ablehnende) Bescheid maßgeblich sein.
Damit wird bei der Anwendung von § 13 Abs. 3a SGB V eine Debatte vollzogen, die ähnlich ist zu einem Meinungsstreit im Allgemeinen Verwaltungsrecht und im Sozialverwaltungsrecht, nämlich, ob es sich für die Berechnung der Jahresfrist zur Aufhebung von Verwaltungsakten gemäß den §§ 44 bis 47 SGB X (bzw. den §§ 48, 49 VwVfG) um eine Entscheidungs- oder Bearbeitungsfrist handelt (etwa Müller in: BeckOK VwVfG, 40. Ed. 2018, § 48 Rn. 113 f.).
Das LSG München hatte seine bereits vom BSG (Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R Rn. 29) abgelehnte Auffassung damit begründet, dass die Krankenkasse die Frist bis zu ihrem Ablauf ausschöpfen können müsse. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz, den auch Rechtsanwälte für sich in Anspruch nehmen, bedeutet allerdings ohnehin nicht, dass es ausreichen würde, dass diese ihre interne Willensbildung bis zum Ablauf dieses Tages abschließen müssten. Vielmehr wird die Frist nur gewahrt, wenn – und sei es am Tage des Fristablaufes um 23:59 Uhr (Wöstmann in: Saenger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 222 Rn. 11; noch strenger nach § 130 BGB, dort zu den üblichen Bürozeiten, vgl. etwa Wendtland in: BeckOK BGB, 46. Ed. 2018, § 130 Rn. 11) – die fristwahrende Handlung nach außen hin vorgenommen wird, z.B. durch Telefax an ein Gericht.
Würde man mit der Gegenansicht auf die behördeninterne Entscheidungsfindung abstellen, wüsste der Patient nicht, ab welchem Zeitpunkt die Genehmigungsfiktion greift. Dies würde er frühestens durch Mitteilung des Zeitpunktes der behördeninternen Entscheidung im Rahmen des Ablehnungsbescheides – d.h. eventuell erst nach vielen Monaten – oder danach gewährter Akteneinsicht erfahren. Damit würde der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 3a SGB V völlig ausgehöhlt. Denn die Patienten könnten nicht damit beginnen, sich die Leistung selbst zu beschaffen, weil sie nicht wüssten, wann die Krankenkasse ihre abschlägige Meinung gebildet hat und ob dies rechtzeitig war. Eine Leistungsbeschaffung vor Ablauf der Frist führt indes zum Verlust des Kostenerstattungsanspruches.
Nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Leistungserbringer würden bei dieser abzulehnenden Ansicht Gefahr laufen, eine bereits begonnene Behandlung bei fehlender Zahlungsfähigkeit des Patienten abbrechen zu müssen und auf den entstandenen Kosten sitzen zu bleiben. In jedem Fall muss die wirtschaftliche Information gemäß § 630c Abs. 3 BGB auch die rechtlichen Risiken der Genehmigungsfiktion berücksichtigen.
Für den Fristbeginn ist der Eingang des Antrages bei der Krankenkasse maßgeblich und anders als gemäß § 42a Abs. 2 Satz 2 VwVfG unabhängig davon, ob der Sachverhalt noch aufzuklären ist (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R). Hält die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für notwendig, muss sie diese unverzüglich einholen und den Leistungsberechtigten schriftlich (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V) informieren (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V; zur Gegenansicht in der Literatur, nachdem es auf die Einholung des Gutachtens und nicht auf die Mitteilung hierüber ankäme, etwa Helbig in: juris-PK-SGB V, 3. Aufl., § 13 SGB V Rn. 63.2). Die Mitteilung eines Grundes verlängert die Frist, wobei diese Verlängerung durch die Krankenkasse auch wiederholt werden kann, in jedem Fall ist die Fristverlängerung taggenau anzugeben, damit der Patient berechnen kann, wann die Genehmigungsfiktion eintritt (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R). Bereits deshalb kann es für das Einhalten der Frist nicht auf die interne Willensbildung der Krankenkasse, sondern es muss auf den Zugang des Ablehnungsbescheides ankommen.
Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, ist die Leistung nach Fristablauf durch fiktiven Genehmigungsbescheid genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidungen des BSG (Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R Rn. 29) und der Instanzgerichte bringen erfreuliche Rechtssicherheit, weil zum einen nun feststeht, wie das Fristende zu berechnen ist, vor allem aber, dass hierfür nicht auf die bis zum Erlass des Bescheides unklaren Zeitpunkte behördeninterner Willensbildungen abzustellen ist. Die Anwendung des § 37 SGB X ist nicht nur systematisch zutreffend, sie bringt für GKV-Patienten gerade bei zeitkritischen Behandlungen (z.B. einer außervertraglichen Psychotherapie) auch erfreuliche Rechtssicherheit, wann mit der Behandlung begonnen werden kann. Ein Vollstreckungstitel zur Durchsetzung der durch die Genehmigungsfiktion als Verwaltungsakt genehmigten Naturalleistung kann dann mit der allgemeinen Leistungsklage erreicht werden (BSG, Urt. v. 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R Leitsatz 3).

Ablauf der Frist der Genehmigungsfiktion für selbstbeschaffte Leistungen nach § 13 Abs. 3a SGB V
Andrea KahleRechtsanwältin
Ablauf der Frist der Genehmigungsfiktion für selbstbeschaffte Leistungen nach § 13 Abs. 3a SGB V
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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