Nachfolgend ein weiterer Beitrag zur Thematik „Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung“ vom 26.7.2018 von Hampe, jurisPR-MedizinR 6/2018 Anm. 2

Orientierungssatz

Die Sozialgerichte dürfen bei ihrer Feststellung, ob ein Arzt ein Delikt begangen und damit seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt und sich als ungeeignet für die vertragsärztliche Tätigkeit erwiesen hat, vorliegende bestandskräftige Entscheidungen anderer Gerichte und auch die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verwerten (vgl. u.a. BSG v. 02.04.2014 – B 6 KA 58/13 B Rn. 17).

A. Problemstellung

Die Entscheidung betrachtet die Voraussetzungen der Zulassungsentziehung im vertragsärztlichen Bereich im Falle einer groben Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten. Am Rande wird dabei die Frage aufgegriffen, inwieweit bestandskräftige Entscheidungen anderer Gerichte und auch die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verwertet werden dürfen und sich aus der Verhängung einer Strafe in Kombination mit einer Verwaltungsmaßnahme möglicherweise ein Doppelbestrafungsverbot ergibt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Der 1954 geborene Kläger war seit dem Jahr 2001 als Internist mit dem Schwerpunkt Pneumologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Wegen der Falschabrechnung von Leistungen nach GOP 01622 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) in den Quartalen I/2009 bis IV/2012 und des systematischen Falschansatzes der GOP 30901 (kardiorespiratorische Polysomnographie/sog. Großes Schlaflabor) machte die beigeladene KÄV im Jahr 2013 Honorarrückforderungen gegenüber dem Kläger in Höhe von 216.492,33 Euro geltend. Nach einer Verständigung gemäß § 257c StPO verurteilte das AG Fürth (Urt. v. 28.04.2015 – 411 Ls 953 Js 162406/13) den Kläger wegen Betrugs in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit weiterem Bescheid vom 26.05.2015 machte die KÄV gegenüber dem Kläger eine Honorarberichtigung wegen Falschabrechnung der GOP 30900 und 30901 EBM-Ä in den Quartalen I/2013 bis III/2014 geltend.
Auf Antrag der beigeladenen KÄV entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger mit Beschluss vom 02.12.2015 die Zulassung wegen gröblicher Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der beklagte Berufungsausschuss (BA) mit Bescheid vom 17.05.2016 zurück. Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (SG Nürnberg, Urt. v. 17.11.2016 – S 1 KA 2/16, LSG München, Urt. v. 28.06.2017 – L 12 KA 130/16).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) geltend macht.
Die Beschwerde des Klägers ist indes unzulässig. Er hat in seiner Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG).
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.06.1994 – 1 BvR 1022/88 – BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr. 5 S. 31; BSG, Beschl. v. 13.05.1997 – 13 BJ 271/96 – SozR 3-1500 § 160a Nr. 21 S. 37 f.) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl. BSG, Beschl. v. 26.06.1975 – 12 BJ 12/75 – SozR 1500 § 160a Nr. 7 S. 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt.
Das Vorbringen des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat geltend gemacht, dass eine „konkrete Rechtsfrage, die entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist“, bestehe. Um welche Frage es sich dabei handeln soll, ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht ohne weiteres zu entnehmen. Der Kläger führt aus, dass sich das Landessozialgericht die Feststellungen aus dem Strafurteil des AG Fürth zu eigen gemacht habe. Die Feststellungen beruhten jedoch auf einer Verständigung i.S.d. § 257c StPO. Insoweit existiere noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit Feststellungen aus Strafurteilen, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, ohne jedwede konkrete Prüfung in anderen Verfahren verwendet werden dürfen.
Soweit diesem Vorbringen eine Rechtsfrage entnommen werden kann, dann am ehesten diejenige, „inwieweit Feststellungen aus Strafurteilen, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, ohne jedwede konkrete Prüfung in anderen Verfahren verwertet werden dürfen“. Die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage hat der Kläger zwar allgemein behauptet, aber nicht näher begründet und nur allgemein angegeben, dass die Feststellungen des Amtsgerichts „ohne eigene Sachaufklärungen“ des Sozialgerichts oder des Landessozialgerichts in das sozialgerichtliche Verfahren übernommen worden seien. Die oben genannte Frage wäre indes nur entscheidungserheblich, wenn das Landessozialgericht die Feststellungen aus dem Strafurteil hier „ohne jedwede konkrete Prüfung verwertet“ hätte. Das hat der Kläger nicht dargelegt, und es trifft im Übrigen auch in der Sache nicht zu. Vielmehr hat sich das Landessozialgericht die Feststellungen aus dem Strafurteil nach eigener Prüfung zu eigen gemacht und dabei neben den Feststellungen aus dem Strafurteil nicht nur den Inhalt des Erstattungsbescheides aus dem Jahr 2013 zur Honorarrückforderung in Höhe von 216.492,33 Euro berücksichtigt, sondern auch den Inhalt der Strafakten ausgewertet, aus denen hervorgeht, dass sich das Urteil des AG Fürth nicht allein auf das Geständnis des Klägers stützt, sondern auch auf das Ergebnis einer umfangreichen Beweisaufnahme.
Ferner hat der Kläger geltend gemacht, dass das Landessozialgericht das Urteil des BSG vom 17.10.2012 (B 6 KA 49/11 R – BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 26) bezogen auf die Grundsätze zum Wohlverhalten des Arztes während des gerichtlichen Verfahrens, das die Zulassungsentziehung zum Gegenstand hat, und zum Vertrauensschutz „nicht richtig beachtet“ habe. Eine entsprechende klärungsbedürftige Rechtsfrage hat er jedoch nicht formuliert, sondern allein die Unrichtigkeit der Entscheidung des Landessozialgerichts geltend gemacht. Zudem wendet der Senat die Rechtsprechung, nach der Verhaltensänderungen des Arztes aus der Zeit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens um die Zulassungsentziehung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind, auf Entscheidungen der Berufungsausschüsse, die nach Veröffentlichung des Urteils vom 17.10.2012 ergangen sind, nicht mehr an. Da der beklagte BA hier mehrere Jahre nach der genannten Entscheidung des Senats – mit Bescheid vom 17.05.2016 (Beschl. v. 21.04.2016) – über die Zulassungsentziehung entschieden hat, kommt eine Anwendung der Maßstäbe aus der Rechtsprechung zum Wohlverhalten hier nicht in Betracht.
Auch das weitere umfangreiche Vorbringen des Klägers enthält keine klar formulierte Rechtsfrage. Vielmehr wiederholt er zur weiteren Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Wesentlichen wörtlich die Berufungsbegründung einschließlich der Beweisantritte. Auch wenn in diesen Ausführungen Rechtsfragen enthalten sein sollten, wird den nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen nicht entsprochen, weil es jedenfalls an der unmissverständlichen Bezeichnung einer bestimmten Rechtsfrage des revisiblen Rechts fehlt. Es ist nicht Aufgabe des entscheidenden Senats, aus dem Vortrag des Klägers möglicherweise klärungsbedürftige und klärungsfähige Fragen selbst „herauszufiltern“ (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160a Rn. 14a m.w.N.).

C. Kontext der Entscheidung

Rechtsgrundlage der vorliegenden Entscheidung ist § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V. Danach ist einem Vertragsarzt die Zulassung unter anderem dann zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist nach der Rechtsprechung des BVerfG wie auch des BSG grundsätzlich auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, so dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertrags(zahn)arzt nicht mehr zugemutet werden kann (st. Rspr. des BSG, vgl. BSG, Urt. v. 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R Rn. 20 m.w.N., sowie BVerfG, Beschl. v. 28.03.1985 – 1 BvR 1245/84, 1 BvR 1254/84 – BVerfGE 69, 233, 244). Maßgeblich ist, ob das Vertrauensverhältnis im Zeitpunkt der Entscheidung der Zulassungsgremien – hier also der Entscheidung des Beklagten vom 21.04.2016 (Bescheid vom 17.05.2016) – wiederhergestellt ist.
Wiederholt unkorrekte Abrechnungen können die Zulassungsentziehung rechtfertigen, weil das Abrechnungs- und Honorarsystem der vertragsärztlichen Versorgung auf Vertrauen aufbaut und das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Leistungserbringers ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung darstellt (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 – B 6 KA 22/11 R – SozR 4-2500 § 95 Nr. 24 Rn. 35 m.w.N.). Für den Tatbestand einer gröblichen Pflichtverletzung i.S.v. § 95 Abs. 6 SGB V ist nicht erforderlich, dass den Vertragsarzt ein Verschulden trifft, auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur Zulassungsentziehung führen (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 – B 6 KA 22/11 R Rn. 23, 50 ff). Den Vertragsarzt trifft eine Grundpflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 – 6 RKa 70/91). Eine Falschabrechnung liegt immer dann vor, wenn die Leistungsziffer angesetzt wurde, obwohl nicht alle Abrechnungsvoraussetzungen erfüllt waren. Die Zulassungsentziehung ist dabei keine Sanktion für ein strafrechtliches Verhalten (BSG, Urt. v. 25.10.1989 – 6 RKa 28/88 – NJW 1990, 1556, 1557). Sie darf allein zum Schutze einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Versorgung erfolgen.
In der Rechtsprechung ist darüber hinaus bereits geklärt, dass die Sozialgerichte bei ihrer Feststellung, ob ein Arzt ein Delikt begangen und damit seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt und sich als ungeeignet für die vertragsärztliche Tätigkeit erwiesen hat, vorliegende bestandskräftige Entscheidungen anderer Gerichte und auch die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verwerten dürfen (BSG, Beschl. v. 02.04.2014 – B 6 KA 58/13 B Rn. 17; BSG, Beschl. v. 27.06.2007 – B 6 KA 20/07 B Rn. 12; BSG, Beschl. v. 05.05.2010 – B 6 KA 32/09 B Rn. 9 – MedR 2011, 307; BSG, Beschl. v. 31.08.1990 – 6 BKa 33/90 Rn. 5; BSG, Beschl. v. 27.02.1992 – 6 BKa 15/91 Rn. 27).
Im Übrigen verstößt der Entzug der vertragsärztlichen Zulassung im Hinblick auf die bereits erfolgte strafrechtliche Verurteilung ausdrücklich nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung. Bei der Entziehung der Zulassung handelt es sich nämlich nicht um die Verhängung einer Strafe, sondern vielmehr um eine Verwaltungsmaßnahme, die der Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung dient (vgl. BSG, Urt. v. 09.02.2011 – B 6 KA 49/10 B Rn. 20).

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Rahmen einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es die Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit eingehend zu befassen. Eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den konkreten Darlegungserfordernissen des § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG ausdrücklich nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne eine ansatzweise Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 07.11.1994 – 2 BvR 2079/93 Rn. 15 – DVBl 1995, 35).

Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung bei grobem Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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